pts20100610005 Politik/Recht, Unternehmen/Wirtschaft

Zivilingenieure-Pressekonferenz - Kritik an Ausschreibungswesen

Verwaltungsvereinfachungen gefordert - Probleme durch Normen-Wildwuchs


Wien (pts005/10.06.2010/08:00) Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Berufsstandes und der Veranstaltungen kommende Woche gab die Bundessektion Ingenieurkonsulenten eine Pressekonferenz zu aktuellen Themen. Kammer-Vizepräsident und Vorsitzender der Bundessektion DI Josef Robl und Stv. Vorsitzender DI Clemens Neuber thematisierten Chancen zur Verwaltungsvereinfachung, Probleme durch Normen-Wildwuchs, Herausforderungen in der Ingenieurausbildung durch den Bolognaprozess sowie Änderungsbedarf der Prinzipien im Vergabewesen. Auch Anforderungen für ein reformiertes Berufsgesetz waren Thema.

VERWALTUNGSVEREINFACHUNGEN
"Bereits 1860 hat Kaiser Franz Joseph II. eine große Privatisierungswelle gestartet und den Berufsstand des Zivilingenieurs ins Leben gerufen", so Josef Robl. "Zivilingenieure sollten schon damals Leistungen der öffentlichen Hand übernehmen, die in Wahrheit besser und effizienter durch beeidete Privatpersonen erbracht werden konnten. Dieses Rezept hat bis heute Gültigkeit."

Im Jubiläumsjahr unterstreichen die Zivilingenieure diesen Gedanken und fordern die Weiterentwicklung sowie eine einheitliche Umsetzung bereits bestehender Best Practice-Beispiele, wie diese etwa in Wien mit einer weitgehend "privatisierten" Bauordnung bereits vorliegen. "Es besteht enormes Potenzial für Verwaltungsvereinfachungen und zur Einsparung öffentlicher Mittel", so Robl. Kosten würden gesenkt, und die Dauer der Verfahren könne teils auf einen Bruchteil der Zeit verkürzt werden. "Dies stellt einen großen Vorteil für die Bürger und die Wirtschaft dar." Beispiele gebe es nicht nur im Bauwesen, sondern auch in vielen anderen Bereichen: Etwa im Kraftfahrzeugbereich, der Sicherheit von Aufzugsanlagen, der Gefahrgutbeförderung, bei Untersuchungen nach dem Bäderhygienegesetz und vielen mehr.

"Der Gesetzgeber ist aufgerufen, bestehende Beispiele konsequent bundesweit umzusetzen, und weitere Schritte in dieser Richtung zu setzen.", so Neuber. Es sei wünschenswert, in den bisher vollständig von den Behörden abgewickelten Bereichen die Verwaltung umgehend zu entlasten und Zivilingenieure und Ingenieurkonsulenten als nichtamtliche Sachverständige beizuziehen. Robl: "Zivilingenieure und Ingenieurkonsulenten agieren als verlängerter Arm der Behörde, sind beeidet, unabhängig und eigenverantwortlich und sind am freien Markt tätig. Diese für alle Beteiligten ideale Kombination sollte weiter forciert werden."

REGULIERUNGS-WILDWUCHS IM NORMENWESEN
"Der Wildwuchs an Normen muss dringend gestoppt werden", so Robl. Im Jahr 2000 bestanden etwa 10.000 Normen, 2006 wurde eine Verdoppelung auf 20.000 erreicht. "Mit 22.000 Normen im Jahr 2009 liegt der Wert nun bei 220% der Normen des Jahres 2000", so Robl. Nachsatz: "Dies ist Ausdruck einer Überregulierung, denn die Praxis war in diesem Zeitraum keinen Veränderungen dieses Ausmaßes unterworfen."

Zivilingenieure und Ingenieurkonsulenten müssen die jeweils zutreffenden Normen nicht nur kennen, sondern - auch bei jeder Änderung - kostenpflichtig gemeinsam mit zahlreichen Nachfolgekosten wie Software-Updates erwerben. "Durch die praxisfremde Normenexplosion ergibt sich eine unnötige Zusatzbelastung für Zivilingenieure und Ingenieurkonsulenten und mittelbar ihre Auftraggeber", so Robl. "Dass dies auch auf die Kosten für die Auftraggeber durchschlägt, und somit jeden Häuslbauer belastet, liegt auf der Hand." - "Die Normenwelt ist in Wahrheit eine Geschäftswelt für die Normungsinstitute geworden"

Robl weiters: "Natürlich sind wir für Normen, wo es sinnvoll ist." Die Aufstellung von Normen sei jedoch mit Verantwortung für die Wirtschaft verbunden, die man in den vergangenen Jahren seitens der normierenden Institute zu wenig beachtet habe. "Zu starke Normierung behindert Innovationen und die Entwicklung neuer, nachhaltiger Lösungen", so DI Neuber.

Robl: "Ein grundsätzliches Problem ist, dass sich zahlreiche Gesetze auf Normen beziehen." Im Sinne der Transparenz, auch für den Bürger, sei ein freier Zugang zu Normen zu gewähren. "Aufgeklärte Konsumenten sollten generell das Recht haben, das was verbindliche Normen vorschreiben, kostenfrei nachlesen zu können."

"Es stellt sich die Frage, ob es in einer vernetzten Wissensgesellschaft noch angebracht ist, öffentlich erstellte Normen - die technischen Spielregeln in vielen Bereichen - nur gegen Kosten zur Verfügung zu stellen", so Robl.

Gefordert wird ein frei zugängliches Normenportal im Internet, auf dem idealerweise alle Normen einsehbar sind. Notwendige Mindestlösung sei die kostenlose Offenlegung aller Normen, auf die sich ein Gesetz bezieht. "Für beruflichen Bezug von Normen ist darüber hinaus eine Lösung zu finden, die Berufsgruppen wie den Zivilingenieure nicht mit dauernden Mehrbelastungen konfrontiert", so Neuber.

HERAUSFORDERUNG INGENIEURAUSBILDUNG UND BOLOGNAPROZESS
Neuber: "Auswirkungen aus dem Bolognaprozess auf die Qualität des Ingenieurnachwuchses in Österreich müssen verhindert werden"

"Der aktuell angestrebte weitgehende Zugang zur Berufsausübung mit höchster technischer Verantwortung - wie zum Beispiel Ziviltechniker - muss weiterhin unseren bestausgebildeten Master-Absolventen vorbehalten werden", so Robl mit Verweis auf Bestrebungen in Deutschland. "Die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Studieninhalten erfolgt in den sechs Semestern des Bakkalaureats zu wenig tiefgehend."

Wichtig sei vor allem eine klare Trennung der Ausbildungsniveaus anstatt einer Verwässerung.

PROBLEME IN DER AUSSCHREIBUNGSPRAXIS
"Mittlerweile wird meist nach dem Billigstbieterprinzip vergeben", so DI Robl, "Das ist ein großes Problem für die Qualität, Nachhaltigkeit und Life Cycle Costs von Investitionen." Neuber und Robl thematisierten alternative Modelle, wie das QBS-System (Quality Based Selection) in den USA.

"Die billigsten Leistungen ohne qualitative Betrachtung gewinnen die Ausschreibungen. Ein unkalkulierbares Risiko verbleibt eigentlich beim Auftraggeber, wie zahlreiche Beispiele in der Letztzeit aufzeigen." Thematisiert wurden Fälle wie der Skylink, in denen Ausschreibeprobleme zu sehr teuren Projekten führten.

Gefordert wird vor allem eine strikte Trennung in Qualität und Honorar bzw. Preis sowie ein verpflichtendes "2-Kuvert-System" im Vergabegesetz.

ANFORDERUNGEN AN EIN NEUES BERUFSGESETZ
"Hauptforderung", so DI Josef Robl, "ist die Wiedereinführung des Zivilingenieurs."

In Österreich bestehen noch zahlreiche Befugnisse als Zivilingenieur, durch eine Gesetzesänderung im Jahre 1994 wurde jedoch der Ingenieurkonsulent als einzig verbleibende Befugnis für Ingenieure definiert. "Eine Situation, die für viele junge Kollegen in der Praxis Probleme verursacht", so DI Robl, selbst noch Zivilingenieur.

Zivilingenieure hätten im Gegensatz zu Ingenieurkonsulenten auch die Berechtigung, die Projektumsetzung zu übernehmen, so Neuber. Es bedürfe beider Möglichkeiten - der reinen Beratungsleistung als Ingenieurkonsulent, sowie der Möglichkeit, als Zivilingenieur Gesamtanbieter zu sein.

"Im heutigen Wirtschaftsumfeld sind One-Stop-Shop-Lösungen bekanntwerweise sehr wichtig", so Robl. Die durch den Ingenieurkonsulenten etablierte Trennung zwischen Theorie und Praxis führt immer wieder zu haarsträubenden Verpflichtungen, auf der Hand liegende Leistungen im Rahmen einer Tätigkeit an Dritte vergeben zu müssen. "Ein auf IT-Security spezialisierter Ingenieurkonsulent darf theoretisch nicht einmal ein Netzwerkkabel anstecken, sondern muss einen EDV-Dienstleister beschäftigen. Ein Zivilingenieur hingegen dürfte das", so Robl. Neuber: "Dies eröffnet auch auf Haftungsseite problematische Bereiche."

Weitere Themen sind die Einführung einer Substitutsregelung sowie die Wiedereinführung eines privaten Dienstverhältnisses für Zivilingenieure - "Aktuell kann sich kein Kollege von einem anderen in seinem eigenen Unternehmen vertreten lassen oder überhaupt einen anderen Zivilingenieur beschäftigen", so Robl. Neuber verwies vor allem auf den Abbau von Hürden für Berufseinsteiger.

Weitere Ziele für ein reformiertes Berufsgesetz liegen im Bereich der Bildung von Gesellschaften: "Die aktuelle Rechtslage behindert österreichische Kollegen vor allem im internationalen Wettbewerb", so DI Robl mit Verweis auf aufzuhebende Reglements in der Bildung von Ziviltechniker-Gesellschaften und interprofessionellen Gesellschaften.

Die Anforderungen wurden bereits beim für das Berufsgesetz zuständigen Wirtschaftsministerium deponiert. DI Robl abschließend: "Nach grundsätzlich positiven Gesprächen mit Bundesminister Mitterlehner können wir auf eine Umsetzung dieser wichtigen Punkte hoffen".

O-TÖNE: Honorarfrei zum Download auf http://www.o-ton.at verfügbar (ab ca. 13.30h).

BILDMATERIAL: Honorarfrei ab sofort unter http://www.fotodienst.at zum Download.

TERMINE:

17. Juni 2010 ab 9.00 Uhr
Fachtagung 150 Jahre Zivilingenieure
Austria Center Vienna

18. Juni 2010 ab 9.00 Uhr
Festveranstaltung 150 Jahre Zivilingenieure
Austria Center Vienna

Anmeldung für beide Termine bitte per e-Mail mit Hinweis "Akkreditierung" an renate.joachimsthaler@arching.at

(Ende)
Aussender: Jeitler & Partner Werbeagenten GmbH & Co KG
Ansprechpartner: Dkkfm. Georg H. Jeitler
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