pte20040207002 Kultur/Lifestyle, Medizin/Wellness

Buch: Keine Zeit mehr zum Schlafen

Kulturhistorische Betrachtung japanischer Ruhegewohnheiten


Wien/ R E Z E N S I O N (pte002/07.02.2004/11:05) Warum schlafen so viele Japaner in Zügen und Sitzungen? Was machen die Bewohner im Land der aufgehenden Sonne in der Nacht? Der Frage nach den Schlafgewohnheiten der Japaner geht ein Werk von Brigitte Steger nach. Die Wissenschaftlerin für Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien betrachtet dabei aber auch Themen wie Zeitverwendung, Arbeitsethik, Geschlechterverhältnisse, soziale Beziehungen, den Umgang mit Ängsten und das Verhalten in der Öffentlichkeit. Das Buch "(Keine) Zeit zum Schlafen" ist im LIT-Verlag http://www.lit-verlag.de erschienen.

Ein Satz in der japanischen Philosophie lautet "Um etwas zu vollenden, schlafe und warte". So könne man auch die Entstehungsgeschichte des Werkes umreißen, meint Steger schon im Vorwort. Denn der zuständige Leiter der Forschungsstelle beschied der Autorin 1993, dass ein Stipendienantrag über einen Forschungsaufenthalt über kulturelle und sozialwissenschaftliche Aspekte des Schlafens in Japan aussichtslos sei. Das Schlafen hängt aber mit dem Verständnis für das Wirtschaftswunder Japans eng zusammen: Japaner sind beinahe ein Synomym für "Arbeitstiere". Und dieses Synomyn hält sich auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten hartnäckig, erklärt die Autorin. Diese Tatsache wird auch im täglichen Leben Japans permanent wiederholt. So lautet der Werbeslogan eines Energy-Drinks "Kannst Du 24 Stunden durchkämpfen? Businessman. Japanischer Businessman." Dabei scheinen selbst die Japaner über ihren Lebensstil zu sagen, er wäre verrückt, weil es verrückt sei, so viel zu arbeiten. "Aber in diesem Jammern schwang auch gleichzeitig ein Stolz mit, fleißiger und daher in moralischer Sicht besser zu sein als der Rest der Menschheit", schreibt Steger.

Der Aufarbeitung der verschiedenen sozialen und kulturellen Aspekte des täglichen Lebens in Japan widmet die Autorin reichlich Platz. So erklärt sie die Schlafstätte, die Raumaufteilung in traditionellen japanischen Häusern, Theorien über das Schlafen und Ruhen in medizinischen Lehren und in der Geistesgeschichte des Landes und auch den Schlaf in physiologischer Sicht. Die Betrachtung der Ruhezeiten führt erneut in die japanische Tageszeiteinteilung und in die Zeitmessung, die dem chinesischen Kalendarium bzw. den chinesischen Tierkreiszeichen entspricht. Die Japaner produzierten ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts, und damit wesentlich früher als die Chinesen, selbst mechanische Uhren. Bis dahin waren Tempelglocken die einzige Methode der Zeitmessung. Die Uhren waren Imitationen europäischer Uhren und hatten auch in Japan bald römische Ziffernblätter anstelle der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen, die bis dahin den Stunden des Tages entsprachen. Steger geht in ihrem Buch auf die Entwicklung dieser Zeitmessung genau ein.

In einem Kapitel vergleicht die Buchautorin die Kulturen der Schlaforganisationen international miteinander: Die Japaner schlafen heute um eine Stunde weniger als noch während der 50-er Jahre. Damals waren es acht Stunden und 15 Minuten, heute sind es sieben Stunden und 23 Minuten. Im internationalen Vergleich rücken die Japaner damit nahe an den Weltrekord, denn im Durchschnitt schlafen männliche Europäer und Amerikaner täglich acht Stunden und sieben Minuten, wobei die Frauen elf Minuten länger ruhen. Japanische Autoren ziehen diese Statistik gerne als Hinweis für ihren Fleiß heran. Der Zusammenhang scheine logisch, denn Fleiß führe zu Fortschritt und Entwicklung. Dies sei ein Teil der Argumentation im Rahmen des internationalen Wettbewerbs von Fortschritt, gesellschaftlicher Überlegenheit und Lebensqualität. Ad absurdum geführt wird diese Studie aber gleich eine Seite weiter: Denn nach neuesten Studien schlafen auch die männlichen Bewohner der indonesischen Hauptstadt Jakarta nur sechs Stunden 19 Minuten. Die Frauen in Jakarta kommen immerhin auf sieben Stunden und sechs Minuten. Es gibt keine Theorie ohne eine Gegentheorie. Die Autorin packt das Thema wissenschaftlich aber dennoch mit Humor an und untersucht die Schlafmethoden zum Gescheiterwerden, erstellt eine Typologie von Kulturen der Schlaforganisation und prägt den Begriff der "sozialen Tarnkappe". Nach knapp 430 Seiten ist der Leser erstaunt, dass es so viele Aspekte zum Thema "Schlafen" gibt.

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